Tulbecks Traum
Einmal fand in München ein Turnier statt. Ritter von Nah und Fern bevölkerten die Stadt, um an diesem Spektakel teilzunehmen.
In der Nacht vor dem Turnier hatte Johannes Tulbeck, Pfarrer an der Marienkirche, einen seltsamen Traum. Unruhig wälzte er sich von einer Seite seines Lagers auf die andere. Als er schließlich erwachte, klang nur mehr eine Stimme in seinem Kopf, die ihm geheimnisvoll zuraunte:
„Tulbeck, geh noch vor Sonnenaufgang auf den Platz vor deiner Kirche. Der Erste, dem du begegnest, den lasse nicht mehr aus den Augen.”
Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm: der Tag würde gleich anbrechen. Rasch kleidete er sich an, sprach ein Gebet und trat auf den Platz.
Es dauerte nicht lange, da erschien ein gewappneter Ritter, der sein Pferd Richtung Marktplatz lenkte. Seine elegante Rüstung glänzte im Licht der Morgensonne und sein Helmbusch strahlte golden.
Tulbeck erinnerte sich an die geisterhaften Worte des Traumes. Mutig trat er dem Ritter entgegen und sprach:
„Herr Ritter, ich sehe, ihr seid auf dem Weg zum Turnier. Darf ich fragen, wie Euer Name ist?”
„Priester, ich bin Jörg von Laimingen, auch der Siegreiche genannt, denn bislang bin ich ungeschlagen im Zweikampf. Das soll sich mit dem heutigen Tage auch nicht ändern.”
„Das seh ich wohl, dass ihr auf dem Weg in den Kampf sein”, entgegnete Tulbeck und deutete auf die Lanze an der Seite des Ritters. „Doch wollt ihr nicht noch zuvor die Beichte ablegen und mit Gottes Segen in das Turnier ziehen?”
Da lachte Ritter Jörg nur spöttisch. „Guter Mann, geht nur eurer Wege und betet. Gottes Segen? Den brauche ich nicht. Ich verlasse mich auf meinen Mut, mein Geschick und meinen Kampfgeist. Und käme der Teufel höchstpersönlich daher, ich hätte keine Angst.”
Tulbeck zuckte zusammen, als der Ritter seinem Pferd die Sporen gab und sich auf und davon machte. Mit einem unguten Gefühl folgte der Pfarrer dem hochmütigen Ritter.
Das Turnier auf dem Marktplatz zu München begann. Fanfaren erschollen, Pferde galoppierten, die Menge johlte und jubelte, Lanzen splitterten und Ritter fielen samt ihrer Rüstungen krachend in den Staub. Nur einer blieb standhaft im Sattel: Jörg von Laimingen. Wer auch immer sich ihm entgegenstellte, verlor. Schließlich blieb nur noch eine Handvoll Ritter übrig, um gegen ihm anzutreten, doch diese gaben sogleich auf und weigerten sich, ihre Kräfte mit dem siegreichen Jörg zu messen.
Da ritt der Laiminger die Schranken entlang, ließ sich bejubeln und forderte lauthals, das Turnier zu beenden und ihn zum Sieger zu küren.
Schon triumphiert er und sprengt davon, um den Preis entgegen zu nehmen - als plötzlich die Stimmen der Zuschauer verstummen und nur noch ein erstauntes Getuschel und Geflüstere um ihn herum zu vernehmen ist.
Jörg dreht sich um. Da baut sich vor ihm ein kohlrabenschwarzer Ritter auf einem pechschwarzen Pferd vor ihm auf. Die Rüstung scheint alles Licht um ihn herum zu verschlucken, so schwarz ist sie. Nur auf dem Helm mit dem herunter geklappten Visier prangt ein feuerroter Federbusch.
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Text: Christopher Weidner
Sprecher: Mario Max
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Die Isarnixe
Die Isarnixe
Es war im Jahre 1487 als Herzog Albrecht anlässlich der Vermählung mit seiner Kunigunde ein rauschendes Fest ausrichten ließ, das viele Tage ging. Nicht nur die Mächtigen und Wichtigen kamen von Nah und Fern nach München, sondern auch allerhand Gaukler, Musikanten und Sänger, denn es galt die Gäste jeden Tag aufs Neue bei Speis und Trank mit Tanz und Musik zu unterhalten.
Unter den Spielleuten war ein junger Mann, der es wie kein anderer verstand, seiner Sackpfeife die zauberhaftesten Melodien zu entlocken. Wenn er aufspielte, lauschte das Publikum gebannt seinen wundervollen Weisen. Es war eine Freude, ihm zuzuhören.
Auch das Edelfräulein von Grünwald lauschte der Musik des Spielmanns Tag für Tag. Das bemerkte der junge Mann und spielte umso lieblicher und kunstvoller, wenn er die junge Frau erblickte, denn er hatte heimlich sein Herz an sie verloren.
Eines Tages traf man sich auf der Burg zu Grünwald, hoch über der rauschenden, wilden Isar. Während sich die anderen bei einer Jagd vergnügten, sah der Spielmann die Gelegenheit gekommen, der Angebeteten endlich seine Liebe zu gestehen. Erst spielte er ihr ein süßes Lied, dann kniete er vor ihr nieder und sprach: „Wertes Fräulein, euch allein soll mein Herz gehören - für immer!“
Die Edeldame fühlte sich zunächst geschmeichelt, doch dann verdüsterte sich ihre Miene, denn sie mochte zwar das Spiel des jungen Mannes, aber ihn selbst hielt sie für unter ihrer Würde. ‚Was bildet er sich ein? Er ist nur ein Spielmann!‘, dachte sie bei sich. Hochmütig antwortete sie: „Der Mann, dem ich mein Herz schenken soll, der muss bereit sein, sein Leben für mich aufs Spiel zu setzen!“
In der Hoffnung von der jungen Frau erhört zu werden, antwortete der Spielmann leichtfertig: „Ich würde alles für eure Liebe tun - sogar sterben!“
Da riss sich die Edeldame einer törichten Eingebung folgend ihr glitzerndes Geschmeide vom Hals und warf es mit einem spöttischen Gelächter hinab in den tosenden Fluss. Dann rief sie: „Dann bringt mir meine goldene Kette wieder! Nur dann will ich euch glauben.“
Wie von Sinnen stürzte sich der Jüngling in die Isar, die an dieser Stelle besonders gefährlich und reißend war. Dann verschwand er in den Fluten. Das herzlose Fräulein wartete. Doch vergebens. Die Wellen schlugen über ihm zusammen und er blieb verschwunden.
Drei Tage nach diesem tragischen Vorfall wurde das Edelfräulein auf einmal vermisst. Am Abend war sie noch zu Bett gegangen, am nächsten Morgen fand man es leer. Doch niemand hatte sie die Burg verlassen sehen. Als man sie suchen ging, hörte man immer wieder einen seltsamen, lockenden Ruf, der ganz unwirklich zu vernehmen war - mal näher, mal ferner, aber immer unerreichbar. Da ahnte man, dass die junge Frau, die den Spielmann mutwillig in den Tod geschickt hatte, zur Strafe verwünscht wäre und nun als geisterhafte Nixe ihr Unwesen in den Isarauen treiben müsse. Wer ihren Ruf hört, so erzählt man sich bis heute, den versucht sie in ihr nasses Grab zu locken. Besonders auf junge Männer hat sie es abgesehen. Diesen erscheint sie in Gestalt einer wunderschönen Frau, deren Haut in der Sonne verheißungsvoll glitzert, während sie ihr langes, silbrig grünes Haar auf einem Felsen sitzend kämmt.
Als die Flößer noch auf der Isar unterwegs waren, mussten sie auf ihrem Weg nach München auch durch das Land der Isarnixe. Um sich zu schützen verstopften sie sich die Ohren, um dem Sirenengesang der Nixe nicht zu verfallen. Manche beteten laut und trugen geweihte Gegenstände bei sich. Doch etliche Marterl an der Marienklause legen Zeugnis davon ab, dass es nicht jedem gelungen war, dem Ruf der Isarnixe zu entkommen …
Text: Christopher Weidner
Sprecher: Mario Max
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Heinrich und der Löwe
Wie Heinrich zu seinem Löwen kam
Eine Sage berichtet von den Abenteuerlust des Herzogs aus Braunschweig, die ihn auf einer seiner Irrfahrten auf einer Insel stranden ließ. Mutig erkundete er den Urwald dieses Eilands und beobachtete auf einer Lichtung den Kampf zwischen einem Löwen und einem Drachen. Beherzt stellte er sich an die Seite des Königs der Tiere und gemeinsam bezwangen sie das Ungeheuer. Von da an wich die Raubkatze nicht mehr von der Seite Heinrichs. Als der Herzog mit einem Floß Richtung Heimat in See stach, folgte ihm der Löwe. Gemeinsam trieben sie auf dem Meer dahin. Da erschien der Teufel und bot Heinrich Rettung an, wenn er ihm die Seele verspräche. Heinrich verlangte aber, dass auch der Löwe gerettet werden müsse und dass der Teufel seine Seele nur haben könne, wenn er ihn auf den Löwen wartend eingeschlafen vorfände. Der Leibhaftige schlug ein und trug Heinrich durch die Lüfte nach Hause, zauberte jedoch einen Schlaf über ihn. Dann holte er den Löwen und flog mit ihm nach Braunschweig. Als der seinen Gefährten wie tot daliegen sah, brüllte er so laut, dass der Herzog davon erwachte, noch bevor der Teufel landete. Der Teufel hatte verloren - und Heinrich und der Löwe waren wieder vereint.
Text: Christopher Weidner
Sprecher: Mario Max
Illustrationen: J.W. Völker (1845)
© 2019 - Die Stadtspürer
Website: stadtspuerer.de
Mehr Sagen und Legenden der Stadt München hörst du auch auf unseren Stadtführungen:
Die Beterin an der Mariensäule
Die Beterin an der Mariensäule
Eine Münchner Sage zur Mariensäule am Marienplatz
Im Jahr 1812 stand eine Mutter mit ihrem Kind am Fuße der Mariensäule und beobachtete, wie die Truppen des bayrischen Heers in die Napoleonischen Kriege nach Russland zogen, darunter auch ihr Geliebter und der Vater ihres Sohnes. Da entdeckte die junge Frau ihren Mann unter den Soldaten und sprach zu ihrem Kind, es solle an der Säule auf sie warten, um ihrem Liebsten einen allerletzten Abschiedskuss zu geben. Sie spürte, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde. Als sie zurückkehren wollte, wurde sie von der Menge zu Boden gerissen und verlor das Bewusstsein. Nach vielen Tagen kam sie in einem Spital wieder zu Sinnen. Kaum war sie genesen, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Kind - aber von diesem fehlte jede Spur. War es den Truppen nachgelaufen? Die junge Frau sah ihren Sohn nie wieder und auch ihr Mann kehrte nicht mehr aus dem russischen Winter nach Hause. Da verlor sie vor Kummer den Verstand. Tag für Tag setzte sich auf die Stufen der Mariensäule und betete stumm und einsam vor sich hin. Sie lebte nur von den Almosen der Vorübergehenden. Bald wurde sie als die Beterin an der Mariensäule bekannt war. Schließlich starb sie bettelarm und verwahrlost im Jahre 1854.
Text: Christopher Weidner
Sprecher: Mario Max
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